Gedenken in der Passionszeit

Im Altarraum der Enger­hafer Kirche waren 188 schwarze Namens­tafeln aufge­stellt mit den Namen der Männer, die als KZ Häftlinge im KZ-Außen­lager Engerhafe im Herbst 1944 gestorben sind und auf dem hiesigen Friedhof notdürftig beerdigt wurden. Die Tafeln haben es erschre­ckend vor aller Augen geführt, wie viele es waren. Sie hatten die unmensch­lichen Bedin­gungen im Lager nicht überlebt oder waren beim Ausheben des Panzer­grabens in Aurich oder unterwegs gestorben. Namenlose Männer, von vielen als Verbrecher oder Feinde angesehen, die aus ganz Europa kamen. Über das Lager und das Schicksal der Häftlinge wurde nicht gesprochen.

Bild: Arnim Focken

Schüle­rinnen und Schüler des Nieder­säch­si­schen Inter­nats­gym­na­siums in Esens (NIGE) haben sich unter Leitung ihres Lehrers Jürgen Hölscher auf Spuren­suche gemacht und sich mit der Exhumierung der Toten im Auftrag des franzö­si­schen Suchdienstes ausein­an­der­ge­setzt. Es ist die Generation der Urenkel, die sich getraut hat, das Schweigen zu brechen. Den Jugend­lichen ist es gelungen, einge­rahmt von selbst geschrie­benen Gedichten, mit einem Bericht und Bildern über die Exhumie­rungs­mission, mit der Beschreibung des Umgangs mit den Toten und den ausführ­lichen Lebens­ge­schichten von Michel Grange und André Coste eine bewegende und würdige Gedenk­feier zu gestalten. Musika­lisch haben ein Bläser­quartett vom NIGE und die Organistin Cornelie Hecke ausge­drückt, was Worte nicht sagen können.

Seit mehr als 10 Jahren arbeiten die Kirchen­ge­meinde und der Träger­verein der Gedenk­stätte zusammen – planen die jährliche Gedenk­feier im Oktober, haben sich in der Zeitzeu­gen­gruppe mit ihren Erinne­rungen beschäftigt und bereiten ein bisher bundesweit einzig­ar­tiges Mitein­ander vor: Eine KZ-Gedenk­stätte und eine Kirchen­ge­meinde unter einem Dach mit einer gemein­samen Haustür. Das alte Pfarrhaus wird sich mit Gruppen aus Schulen, Kirchen­ge­meinden und Gesell­schaft füllen. Es wird wechselnde Ausstel­lungen, Vortrags­ver­an­stal­tungen und Lesungen geben. Touristen werden die Ausstellung besuchen, während im neuen Gemein­dehaus der Konfir­man­den­un­ter­richt statt­findet und sich Gemein­de­gruppen treffen. Für unser gemein­sames Projekt gibt es kein Vorbild und keine Erfah­rungen, auf die wir zurück­greifen können. Aber wir sind davon überzeugt, dass darin viele Chancen liegen.

Dadurch kann deutlich werden, dass wir gemeinsam Verant­wortung tragen für das, was in Engerhafe (und überall in Deutschland) geschehen ist, ebenso wie für die Zukunft in unserem Land. Wir können uns dafür einsetzen, dass Menschen hier im Frieden und in Sicherheit leben können, ohne als „die Anderen“ ausge­grenzt und schließlich zu Feinden gemacht zu werden. Sowohl die Kirche, die in der Nachfolge Jesu steht, als auch die Gedenk­stätte sind Orte des Lernens.

Zurück zum 17. März und der Gedenk­feier in der Kirche: Unser Dank und unsere Anerkennung gilt den jungen Menschen, die den Besuche­rinnen und Besucher mutig und einfühlsam Schweres zugemutet haben. Dennoch ist es ihnen gelungen ist, mit dem zum Schluss gemeinsam gesun­genen Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag…“ von Dietrich Bonhoeffer dessen Hoffnung weiterzugeben.